Außergerichtlicher Vergleich: Voraussetzungen, Ablauf, Vor- und Nachteile, Haftung sowie Mustervorlagen
Neben der Entschuldung im Rahmen eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens, ist der außergerichtliche Vergleich (auch stiller Ausgleich oder außergerichtlicher Ausgleich genannt) eine weitere Möglichkeit zur Sanierung von notleidenden Unternehmen. Dabei verzichten die Gläubiger freiwillig auf einen Teil ihrer Forderungen und tragen so zur Sanierung des Schuldners bei.
Vorteil dieser Vorgehensweise ist die üblicherweise höhere Quote und kein öffentlichkeitswirksames Insolvenzverfahren. Wie oft dieses Verfahren zur Anwendung kommt, wurde 2007 von 3 österreichischen Großbanken erhoben. Dabei zeigte sich, dass rund 42% der materiell insolventen Unternehmen außergerichtlich saniert werden konnten. 1)siehe auch Rechberger, Seeber, Thurner, Insolvenzrecht, RZ 24
Ziel dieses Artikels ist einen Überblick über den Ablauf, Vor- und Nachteile sowie Vorlagen zur schnelleren Abwicklung eines außergerichtlichen Vergleichs zur Verfügung zu stellen.
Zuletzt aktualisiert am von Benedikt Brand
Inhaltsverzeichnis
Definition: Was ist ein außergerichtlicher Vergleich (stiller Ausgleich)?
Die außergerichtliche Sanierung ist eine Einigung zwischen der Schuldnerin/dem Schuldner und den Gläubigerinnen/Gläubigern ohne Einschaltung eines Gerichts. Es handelt sich um einen privatrechtlichen Vertrag.
Weiterführende Links
- Erfahren Sie mehr über den Ablauf von Sanierungsverfahren
- Finden Sie Vorlagen zur Erstellung von professionellen integrierten Planungsrechnungen
- Erstellen Sie einen Status zu Liquidationswerten zur besseren Darstellung von Insolvenzszenarien
- Errechnen Sie mithilfe von Vorlagen die Quotenerfordernis zur Erfüllung eines außergerichtlichen Vergleichs: Sanierungsplan
Voraussetzungen für außergerichtlichen Ausgleich
Grundsätzlich gibt es (im Vergleich zur Eröffnung eines Sanierungsverfahrens) keine Voraussetzungen für die Einleitung eines außergerichtlichen Vergleichs. Ein Vergleich kann vor Eintreten der Zahlungsunfähigkeit durchgeführt werden.
Vorteile
Die Vorteile einer außergerichtlichen Sanierung sind vor allem:
- Keine Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Wahrung der Diskretion (Die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens wird nicht veröffentlicht)
- Schnelligkeit im Vergleich zum gerichtlichen Sanierungsverfahren (Dauer oft bis zu 2 Jahren) & (möglicherweise) geringere Kosten
- keine Gerichtskosten
- Höhere Flexibilität (keine Bindung an gesetzliche Mindestquoten)
- Ungleichbehandlung der Gläubiger ist grundsätzlich möglich
Nachteile
Allerdings geht der außergerichtliche Vergleich auch mit einer Reihe von Nachteilen einher:
- Aufgrund des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung kann es nach Eintritt der materiellen Insolvenz und bei unsachgemäßer Vorgehensweise zu erhöhten Risiken im Zusammenhang mit strafrechtlichen Tatbeständen kommen. In diesem Zusammenhang seien insbesondere Begünstigung eines Gläubigers 2)§158 StGB und grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen 3)§159 StGB erwähnt.
- Risiken einer Anfechtung
- Von Gesellschaftern gewährte Darlehen können die Bestimmungen des Eigenkapitalersatzrechts erfüllen und als eigenkapitalersetzend eingestuft werden
- Alle Gläubiger, die nicht voll befriedigt werden, müssen aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips dem Sanierungsvorschlag zustimmen
Vorgehensweise und Ablauf
Unter Mitwirkung von Rechtsanwälten und/oder Beratern wird im ersten Schritt ein Sanierungskonzept erstellt. Diesem ist eine umfangreiche Analyse und Bestandsaufnahme vorgelagert.
Analyse und Erstellung eines Sanierungskonzept
Das Sanierungskonzept ist die Grundlage für Verhandlungen und muss die Gläubiger von der Sinnhaftigkeit eines außergerichtlichen Ausgleichs überzeugen. Es enthält dabei einen operativen Sanierungsplan sowie einen Vorschlag zum Forderungsnachlass. Auch ein kurz- und mittelfristiger Finanzplan wird von Gläubigern (vor allem Banken) regelmäßig gefordert und muss professionell erstellt werden.
So bereiten Sie einen Sanierungsplan vor
- Erfahren Sie hier mehr über den Aufbau und Inhalte eines Sanierungsplans sowie den Praxisablauf einer Unternehmenssanierung.
- Hier finden Sie außerdem Vorlagen zur Erstellung eines direkten und indirekten Finanzplans.
Kontaktaufnahme, Verhandlungen & “Muster Schimmelbrief”
Nach Erstellung des Sanierungskonzepts werden die Gläubiger kontaktiert. Je nach Höhe kann
- das direkte Gespräch (kleine Anzahl von Gläubigern) oder
- der Kontakt mittels eines sogenannten “Schimmelbriefes” (direkte Gespräche aufgrund der Menge der Gläubiger nicht möglich)
gesucht werden.
Tipp
Bei einer geringen Anzahl von Gläubigern ist das direkte Gespräch vorteilhaft und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit des außergerichtlichen Ausgleichs.
Gegebenenfalls werden auch – zur Verringerung des Aufwandes – die “Kleinstgläuibiger” in die Verhandlungen nicht einbezogen und in Abstimmung mit den Hauptgläubigern voll befriedigt.
Beauftragen Sie einen auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwalt
Ziehen Sie jedenfalls einen spezialisierten Rechtsanwalt hinzu, um etwaige strafrechtliche Risiken zu vermeiden. Hier finden Sie eine Liste erfahrener Anwälte mit Fokus auf Insolvenzrecht sowie Insolvenzverwalter.
Abschluss & Rechtsfolgen eines außergerichtlichen Vergleichs
Stimmen alle Gläubiger dem außergerichtlichen Vergleich zu, erlöschen bei ordnungsgemäßer Erfüllung die Forderungen in Höhe der Differenz zur vereinbarten Zahlungsquote.
Beispiel: Wurde eine Quote in der Höhe von 45% angeboten und von allen Gläubigern akzeptiert, erlöschen bei Bezahlung (innerhalb der vereinbaren Fristen) die restlichen 55% der Verbindlichkeiten.
Achtung
Beachten Sie jedenfalls einen durch den Verzicht entstandenen möglichen Sanierungsgewinn und den Entfall von Vorsteuerabzügen.
Fristen
Wichtig: Die Verhandlungen über einen außergerichtlichen Vergleich stoppen die 60 Tages Frist 4)siehe §69 IO nicht. Der Rechtsprechung zufolge muss der Sanierungsversuch ex ante aussichtsreich und realisierbar sein. Die 60-tägige Insolvenzantragspflicht endet mit der Erkennbarkeit der Aussichtslosigkeit eines Sanierungsversuches. 5)siehe auch Rechberger, Seeber, Thurner, Insolvenzrecht, RZ 26
Kommt es innerhalb der 60 Tages Frist nicht zu einer Einigung, muss Insolvenz angemeldet werden. In diesem Fall stehen immer noch die gerichtlichen Sanierungsvarianten (Sanierungsverfahren mit und ohne Eigenverwaltung) zur Verfügung.
Beachten Sie
Aktuell gelten aufgrund der COVID-19 Pandemie veränderte Fristen bei der verpflichtenden Anmeldung der Insolvenz. Weitere Informationen finden Sie hier: Fortbestehensprognose in Zeiten vor Corona
Wer stimmt der außergerichtlichen Einigung üblicherweise nicht zu?
Die Praxis zeigt, dass folgende Gläubigergruppen einem außergerichtlichen Ausgleich in der Regel nicht zustimmen.
Dinglich besicherte Gläubiger
Ein Forderungsverzicht kommt für besicherte Gläubiger (beispielsweise durch Eigentumsvorbehalte, Hypotheken oder Bürgen) in der Regel nicht in Frage. In einem Insolvenzverfahren, bleiben die Forderungen unberührt, sodass der Anreiz für einen Forderungsverzicht fehlt.
Sozialversicherungsträger
Auch die Sozialversicherungsträger stimmen einem außergerichtlichen Ausgleich unter Berufung auf die gesetzlich vorgegebene Unverzichtbarkeit ihrer Ansprüche in der Regel nicht zu. Möglich sind jedoch Ratenvereinbarungen.
Lohn- und Gehaltsansprüche von Dienstnehmern
Dienstnehmer werden in den meisten Fällen voll zu befriedigen sein. Dies ist auf 2 Gründe zurückzuführen.
- Bei Vorenthaltung des Entgelts steht dem Dienstnehmer ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund offen.
- Der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds deckt in einem gerichtlichen Verfahren den Ausfall, sodass Dienstnehmer Ausfälle nicht zu befürchten haben.
Haftung und Gefahren
Aufgrund des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung kann es nach Eintritt der materiellen Insolvenz und bei unsachgemäßer Vorgehensweise zu erhöhten Risiken im Zusammenhang mit strafrechtlichen Tatbeständen kommen. In diesem Zusammenhang sollen insbesondere
- Begünstigung eines Gläubigers 6)§158 StGB
- grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen 7)§159 StGB
- betrügerische Krida 8)§156 StGB
erwähnt werden.
Auch mögliche zivilrechtliche Haftungsrisiken (Schadensersatz) im Zusammenhang mit Insolvenzverschleppung sowie die Gefahr einer Anfechtung können ein Thema sein.
Umso wichtiger ist daher die fachkundige Unterstützung eines Beraters sowie die Erstellung einer Fortbestehensprognose.
Gebühren
Beachten Sie beim außergerichtlichen Vergleich eine mögliche Rechtsgeschäftsgebühr nach dem Gebührengesetz. 9)Details siehe Tarifpost 20: “Vergleiche (außergerichtliche)” in Gebührengesetz
Fazit
Der außergerichtliche Vergleich kann unter anderem aufgrund der Wahrung der Diskretion ein geeignetes Sanierungsinstrument zur Entschuldung eines notleidenden Unternehmens sein. Die Vorteile liegen mit erhöhter Flexibilität, dem Wegfall von gerichtlichen Kosten sowie der Schnelligkeit im Vergleich zum gerichtlichen Sanierungsverfahren auf der Hand.
Allerdings sind auch die hohe Komplexität der Erstellung eines geeigneten Sanierungskonzepts und Verhandlungen sowie mögliche straf- und zivilrechtliche Risiken bei unsachgemäßer Vorgehensweise hervorzuheben.
Stimmen Sie sich daher mit einem Anwalt und/oder einem spezialisierten Berater ab, um sowohl Risiken zu minimieren als auch die Erfolgswahrscheinlichkeit eines außergerichtlichen Ausgleichs zu erhöhen.
Haben Sie Fragen? Benötigen Sie Unterstützung bei der Vorbereitung eines außergerichtlichen Vergleichs? Nehmen Sie Kontakt auf!
FAQ
Häufigste Fragen kurz zusammengefasst:
Wie lange dauert ein außergerichtlicher Vergleich?
Wie lange dauert ein außergerichtlicher Vergleich?
Im Vergleich zu gerichtlichen Sanierungsverfahren dauern außergerichtliche Vergleiche deutlich kürzer. Je nach Komplexität des Sachverhalts kann ein stiller Ausgleich wenige Wochen dauern.
Wann ist ein Vergleich rechtskräftig?
Wann ist ein Vergleich rechtskräftig?
Stimmen alle Gläubiger dem außergerichtlichen Ausgleich zu, erlöschen bei ordnungsgemäßer Erfüllung (Zahlung der vereinbarten Quote) die Forderungen in Höhe der Differenz zur vereinbarten Zahlungsquote.
Welche Vorteile hat ein außergerichtlicher Vergleich?
Die Vorteile einer Sanierung in Form eines außergerichtlichen Vergleichs sind vor allem:
- Keine Eröffnung eines öffentlichkeitswirksamen Insolvenzverfahrens
- Schnelle Abwicklungim Vergleich zu bis zu 2 Jahren dauernden gerichtlichen Sanierungsverfahren
- keine Gerichtskosten
- Höhere Flexibilität bei der Bezahlung von Quoten
- Ungleichbehandlung von Gläubigergruppen ist grundsätzlich möglich
Was ist ein Sanierungsverfahren?
Ein Sanierungsverfahren ermöglicht die Sanierung und Fortführung eines insolventen Unternehmens. Das Sanierungsverfahren kann dabei mit und ohne Eigenverwaltung beantragt werden. Beachten Sie jedenfalls die gesetzlich geregelten Anforderungen an einen Sanierungsplan.
Benedikt Brand hat im Zuge der Covid-19 Krise zur Unterstützung von Unternehmern in Not den Praxisratgeber SOLVENT.at ins Leben gerufen. Das Ziel ist Entscheidungsträger über Sanierungs- und Restrukturierungsmöglichkeiten aufzuklären und so Wertschöpfungsketten zu erhalten.
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